Ist das Müll oder kann das weg?

Manche Geschichten passieren einfach. Ohne Plan. Ohne Konzept. Sie rollen über dich drüber, als hätten sie lange gewartet – und wenn du nicht schnell genug ausweichst, sitzt du plötzlich mittendrin. Und manchmal fangen diese Geschichten dort an, wo du eigentlich nur vorbeifahren willst: am Straßenrand, zwischen Müllsäcken.

Laura – taub, misstrauisch, voller Überlebenswille

Unsere Hündin Laura ist ein weißer Podenco-Mix. Taub. Ihr Blick ist wach, misstrauisch und manchmal voller Panik. Sie hat viele Jahre im Tierheim verbracht. Und wenn du dort nicht hören kannst, bist du Freiwild. Andere Hunde greifen dich an, und du merkst es zu spät. Kein Knurren, kein Laut warnt dich – nur der Schmerz, wenn es schon zu spät ist.

Laura hat gelernt, dass die Welt gefährlich ist. Dass Nähe Risiko bedeutet. Dass es besser ist, zuerst zuzuschlagen. Sie hat Angst – vor Hunden, vor Menschen, vor Kindern. Vertrauen fällt ihr schwer. Aber sie ist klug, sensibel, stark. Wie Laura zu uns kam, erfährst du hier.

Wenn wir in unserem Haus in Spanien sind, oben in den Bergen, weit ab vom Lärm und der Welt, kann Laura frei leben. Am Ende einer neun Kilometer langen Dirtroad hat sie Raum, um einfach nur Laura zu sein. Sie kommt und geht, wie sie will. Meidet alles, was sie stört. Geht ihren eigenen Weg.

Irgendwann sagte ich zu meiner Frau: „Ich wünsch mir einen Kumpel für Laura. Einen Hund, der nicht laut ist. Der nicht drängt. Einer, der einfach nur da ist. Einen Malinois – stark, loyal, der auf sie aufpasst. Damit sie vielleicht weniger Angst hat.“ Natürlich war das Quatsch. Ich hatte zu viele YouTube-Videos gesehen. So einen Hund zu führen braucht Zeit und Erfahrung – habe ich beides nicht und auch keine Terroristen in der Umgebung die er ausschalten könnte.

Ist das Müll oder kann das weg - Rio Bild Hund schläft auf Kissen

Der Hund im Müll

Drei Tage später. Cheat Day. Burger King. Wir bestellen immer was zum mitnehmen und essen im Bett – Laura kriegt die Chicken Nuggets und ein paar Pommes- die liebt sie-. Wir fahren zurück Richtung Haus, als wir an den Müllcontainern vorbeikommen. Ein Platz, den man kennt, aber nur beachtet wenn der Kofferraum voll mit Mülltüten ist. Und da steht er. Ein junger Schäferhund. Dünn, schmutzig, unsicher, aber nicht ängstlich. Er schnüffelt und wühlt in den Müllsäcken. Hebt den Kopf, schaut. Und ich sage nur: „Der ist zu nah an der Straße. Fahr rechts ran.“

Ich steige aus, knie mich hin. Meine Frau gibt mir ihren Burger (Ich hatte wirklich Hunger bis unter beide Arme). Ich halte ihn dem Hund hin. Er kommt. Frisst. Bleibt. In Spanien ist das nicht normal. Straßenhunde sind scheu, misstrauisch, oft traumatisiert. Aber dieser hier nicht. Er schaut mich an, als würde er sagen: „Sehr gut, jetzt noch die Nuggets, bitte.“

Wir wollten ihn nicht dort lassen. Die Straße ist zu nah. Die Autos zu schnell. Also locken wir ihn ein paar Hundert Meter weiter in eine Dirtroad. Vielleicht hat er ein Zuhause. Vielleicht sucht ihn jemand.

Ich fahre zum Haus, hole eine Leine und Wasser und teile mir mit Laura zwei Chicken Nuggets. Meine Frau bleibt bei ihm. Sitzt mit ihm auf einer Steinmauer, füttert ihn mit meinem Burger (Immer noch Hunger. Für mich gab es Butterbrote an dem Abend). Er bleibt. Einfach so. Als hätte er schon entschieden.

Kein Chip, keine Garantie – aber eine Entscheidung

Wir locken ihn auf die Rückbank. Ich setze mich neben ihn. Die Tierärztin beugt sich durchs Autofenster, um ihn zu streicheln – und wird sofort angeknurrt. Er bellt, fletscht die Zähne. Ich sitze neben ihm, lege meinen Arm um ihn, halte ihn sanft fest. Die Tierärztin gibt mir den Scanner. Ich fahre über jede Stelle an der so ein Chip sitzen könnte. Fehlanzeige. Er ist total ruhig. Kein Knurren mehr. Kein Bellen. Nur Ruhe. 

Zwei Optionen: Wir nehmen ihn mit. Oder wir geben ihn bei der Guardia Civil ab. Aber ganz ehrlich – das war nie wirklich eine Frage. Wir nehmen ihn mit. Alles andere hätte sich wie Verrat angefühlt.

Drei Wochen im Zelt, jeden Tag Annäherung

Laura hasst andere Hunde. Wir wussten, das wird kein Spaziergang. Ich schlage mein Lager im Dachzelt auf der Terrasse auf. Drei Wochen lang. Der neue Hund – damals noch ohne Namen – schläft draußen neben mir. Nacht für Nacht.

Wir verteilen Plakate, posten in den sozialen Medien, fragen in der Gegend. Nichts. Kein Hinweis. Niemand sucht ihn. Und während wir darauf warten, dass er vielleicht doch jemandem fehlt, beginnen wir mit dem Training. Dreimal täglich gehen wir mit beiden Hunden spazieren – beide mit Maulkorb, mit Abstand, mit Geduld. Anfangs ist es Krieg. Laura attackiert sofort. Der neue weist sie zurecht. Laura bleibt misstrauisch. Aber sie beobachtet. Und er – er akzeptiert. Kein Aufdrängen. Kein Theater. Nur Präsenz.

Mit der Zeit verändert sich etwas. Der erste gemeinsame Spaziergang ohne Eskalation. Wir nehmen die Maulkörbe ab. Natürlich eskaliert es und wir starten von vorne.  Ein vorsichtiger Seitenblick. Ein Moment der Ruhe. Und irgendwann sogar ein leichter Spielansatz. Keine Euphorie, kein Friede-Freude-Freundschaftsfilm. Aber ein Anfang. Ich ziehe zurück ins Bett. Laura auch. Der Neue bekommt den Wintergarten. Fürs Erste.

Rio

Heute heißt er Rio. Neben dem Müllplatz fließt ein kleiner Fluß entlang und wir wollten ihn nicht Basura (spanisch für Müll) nennen. Er ist etwa eineinhalb Jahre alt. Er hat Leishmaniose und wird sein Leben lang Medikamente nehmen müssen. Wahrscheinlich war das der Grund, warum er ausgesetzt wurde. Er ist manchmal nervig, manchmal sehr nervig, manchmal ein bisschen zu viel. Er pinkelt wenn er Angst hat, kann sämtliche Türen zu allen Seiten hin öffnen, wälzt sich gerne in Kot und toten Tieren und liebt es den Mülleimer auszuräumen. Aber er ist Familie. 

Er schläft jetzt im Bett. Ja, es ist eng. Aber irgendwie auch genau richtig. Laura und er haben ihren Rhythmus gefunden. Keine tiefe Liebe, aber Respekt. Manchmal liegt sie einfach nur da, während er an ihr vorbeiläuft – ohne Knurren, ohne Misstrauen. Und letztens sind sie abgehauen und gemeinsam durch die Berge gezogen. Das ist mehr, als ich je erwartet hätte.

Ich habe drei Tage vorher gesagt, ich wünsche mir einen Schäferhund für Laura. Und da war er. Im Müll. Gut…ich hätte lieber eine Hündin gehabt, die sind nicht so weinerlich. Ich wollte eigentlich einen belgischen Schäferhund, keinen deutschen…Aber hey wollen wir dem Schicksal mal nicht zu hart an den Hals gehen.

Und jetzt?

Wenn du gerade irgendwo bist, wo sich alles scheiße anfühlt, in einem Moment steckst, der sich anfühlt wie Abstellkammer des Lebens –
Wenn keiner dich sieht, keiner dich fragt, keiner dich braucht –

Dann denk an Rio.

Für seinen Besitzer war er ein Kostenfaktor. Für die Autofahrer davor war er ein streunender Köter.
Für mich ist er ein verdammtes Wunder.

Wenn du da grad bist – mittendrin im Nichts –
Vertrau drauf: Irgendwas kommt. Nicht immer schnell. Aber es kommt.

Und wenn es da ist…
…dann fahr verfickt nochmal rechts ran!

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