Die erste große Liebe!

Meine Frau wollte einen Hund.
Nicht so ein bisschen. Richtig. Sie hat mich ein Jahr lang bei jedem vorbeilaufenden Vierbeiner mit einem quietschenden „Huuuundiii!“ beschallt – und mich konsequent damit genervt. Ich wollte keinen Hund. Ich wollte keine Haare auf meinen Klamotten, keine Verantwortung, keinen Fellklumpen, der meine Tagesplanung durcheinanderbringt. Ich wollte Ruhe. Aber wie das so ist mit Frauen: Sie gewinnt.

Und wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig. Also sind wir raus aus der kleinen Dachgeschosswohnung. Haus mit großem Grundstück mitten im Feld angemietet – richtig ländlich. Urlaub? Fällt ab sofort flach. Stattdessen hab ich einen Jeep Wrangler angeschafft, Dachzelt draufgepackt, Rückbank raus – da muss der Hund hin. Ob ich das Geld dafür hatte? Nicht wirklich. Aber was sein muss, muss sein. Und wenn schon Hund, dann bitte richtig!

die erste große liebe meiner frau - marie - hund süß mit blume auf dem kopf

Meine Frau hat sich um den Rest gekümmert. Tierschutzorganisationen angeschrieben, Kontakte geknüpft. Unser Wunsch war klar: Wir wollten den Hund, den keiner will. So kaputt wie möglich. Richtig Baustelle. Gott sei Dank hat uns der Tierschutz da sanft eingebremst. Der Hund, den wir eigentlich ins Auge gefasst hatten, sollte trotzdem irgendwann noch kommen – aber empfohlen wurde uns ein anderer: ein Hund aus Spanien, Nähe Sevilla.

Das passte irgendwie. Meine Frau und ich hatten uns in Andalusien kennengelernt, bei unseren Jobs für ROBINSON. Warum also nicht auch ein Hund von dort? Wir sind zur Pflegestelle gefahren, um sie kennenzulernen. Sie hieß Mar – was auf Spanisch „Meer“ bedeutet. Ironischerweise hasste sie Wasser. Ich hab sie sofort in Marie umgetauft. Mar war keine Option. Marie schon.

Ich hab natürlich weiterhin so getan, als hätte ich keinen Bock auf das Ganze. Aber während ich morgens zur Arbeit fuhr, lief im Auto heimlich „Marie“ von Santiano. Ich bin nicht erst Piratenfan, seit ich Salespirat bin. Als sie dann zu uns kam, war sie der liebste Hund, den man sich vorstellen kann. Ruhig, vorsichtig, irgendwie immer bei sich. Ich hatte von Anfang an hundert Regeln aufgestellt: keine Couch, keine erste Etage, keine Hundehaare auf meinen schwarzen Klamotten. Ich hab über jedes einzelne gemeckert.

Und wie’s so kommt, fielen die Regeln Stück für Stück. Eines Tages schickte ich meiner Frau ein Foto – ich auf der Couch, Marie an mich gekuschelt. Ein anderes Mal hat es nachts gewittert. Ich bin wach geworden und da stand sie, zitternd, oben an der Schlafzimmertür in der ersten Etage. Die erste Etage war natürlich tabu. Aber sie hat mich so angeschaut, als wäre jede Regel einfach lächerlich. Also hab ich mir eine Decke genommen, bin mit ihr nach unten aufs Sofa gegangen und hab dort mit ihr geschlafen. In dieser Nacht war irgendwas anders. Ich weiß nicht, ob ich mich da endgültig in diesen Hund verliebt hab, aber irgendwas hat sich verschoben.

Meine Frau hatte die große Liebe ihres Lebens gefunden. Die beiden waren unzertrennlich. Egal wohin, Marie war dabei. Wenn meine Frau mal ein paar Tage nicht da war, war der Hund wie ausgewechselt. Ich war dann halt Plan B. Ich hab sie mit Futter bestochen, Salami, Lachs, Schinken und Schweinebraten was nur bedingt funktionierte – aber wir haben immerhin gut gegessen.

Ein Freund hat irgendwann mal zu mir gesagt: „Was du alles für einen Hund machst – das würdest du für keinen Menschen tun.“ Und vielleicht hatte er recht. Vielleicht war es übertrieben. Aber ich hab in einem Haus mitten im Feld gelebt, ich hatte ein neues Auto mit Dachzelt, meine Frau war glücklich, Marie war angekommen – und ich war’s irgendwie auch.

Gab ja nur Gewinner.

 

Marie lebt nicht mehr.

Sie hat den Krebs nicht überlebt. Aber bis zu ihrem letzten Tag hat man ihr davon nichts angemerkt. Sie hat gefressen, wie sie immer gefressen hat. Hat sich bewegt, neugierig geguckt, geschnüffelt, war mit ihrer Schwester unterwegs und hat einfach weitergemacht. Keine Spur von Resignation, kein langsames Verschwinden. Für uns war sie da – nicht weniger, nicht schwächer, nicht zerbrechlich. Einfach Marie. Vielleicht wusste sie es. Vielleicht hat sie uns das einfach nicht gezeigt. Oder vielleicht war das einfach ihre Art, zu leben: kein Drama, keine Show, kein Abschied auf Raten.

 

Mein erstes Tattoo: Eine Pizza mit Maries Ohren

In ihrer letzten Nacht hat sie anders geatmet. Schwer. Ruhiger, aber nicht wie sonst. Nicht panisch, nicht mit Schmerzen, aber du kennst dein Tier irgendwann so gut, dass du verstehst: irgendwas stimmt nicht. Am nächsten Morgen konnte sie nicht mehr richtig aufstehen. Kein großes Jammern, kein Wimmern. Sie hat einfach in die Welt geschaut, als wäre alles gesagt. Als wäre der Moment da. Kein Hund, der sich aufgegeben hat. Eher ein Hund, der gesagt hat: Ich war lang genug stark. Jetzt seid ihr dran.

Meine Frau ist mit ihr ans Meer gefahren. Ganz allein. Einfach, weil es sich richtig angefühlt hat. Kein letzter Instagram-würdiger Sonnenuntergang, kein „Danke für alles“-Gekuschel auf der Picknickdecke. Nur ein Tag, der noch einmal ihnen gehörte. Zwei Seelen, die sich ohne Worte verstehen. Sie saßen am Strand, haben gemeinsam aufs Wasser geschaut. Marie hat die Nase in den Wind gehalten. Und natürlich gab es Pizza. Marie und Pizza – das war immer ein eigenes Kapitel. Sie hat mit Appetit gegessen, als würde alles genauso weitergehen wie immer. Und vielleicht war genau das das Schöne daran: Sie war sie selbst. Bis zum letzten Atemzug.

Wir haben sie einen Tag später gehen lassen. Mit uns. Ohne Kälte. Nur wir vier. Meine Frau hat mit ihr gekuschelt. Ich hab mit Maries Schwester vor der Tür gewartet. Und während der Moment kam, in dem man eigentlich zusammenbricht, war da einfach nur Ruhe. Keine Fassungslosigkeit, keine Hysterie, keine Panik. Nur das Wissen: Das war richtig so. Das war der Moment, der ihr gehört hat. Kein Tier sollte allein gehen müssen. Marie musste das nicht. Und wir mussten sie nicht alleine lassen.

Sie ist gegangen, wie sie gelebt hat – leise, stark, klar. Ohne Aufhebens. Ohne das Bedürfnis, sich zu erklären. Sie war einfach da. Und dann war sie es nicht mehr.

Aber was bleibt, ist nicht die Leere. Es ist dieser stille Nachhall von jemandem, der dich geprägt hat, ohne dich laut zu verändern. Jemand, der einfach neben dir lebt, bis du merkst, dass er viel mehr als nur „neben dir“ war. 

 

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